Wie der arktische Permafrost auf die globale Erwärmung reagieren wird, zeigen globale Klimamodelle
Die Arktis heizt sich im Zuge der globalen Erwärmung besonders schnell auf – mit gravierenden Folgen. So taut der dort weit verbreitete Permafrost, dessen Böden doppelt so viel Kohlenstoff speichern wie die Atmosphäre. Was das für das globale Klima bedeutet, und welche erstaunlichen Rückkopplungen es dabei zu berücksichtigen gilt, erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe von immer detailreicheren Klimamodellen.
Im Jahr 1827 versuchte der russische Kaufmann Fjodor Schergin, auf seinem Grundstück im sibirischen Jakutsk einen Brunnen zu graben. Doch statt auf Grundwasser stieß er nur auf gefrorenen Boden. In 15 Metern Tiefe gab er auf. Als einige Zeit später Wissenschaftler auf die missglückte Unternehmung aufmerksam wurden, überredeten sie Schergin, weiter zu graben. Nach zehn Jahren hatte die Mine ihre heutige Tiefe von 116 Metern erreicht, und Jakutsk wurde als Wiege der Permafrostforschung bekannt.
Dauerhaft gefrorener Boden, auch Permafrost genannt, ist ein Relikt der letzten Eiszeiten. Es handelt sich um Böden, deren Temperatur mindestens zwei Jahre in Folge unter dem Gefrierpunkt liegt – wobei es egal ist, ob sie aus Torf, lockerem oder festem Gestein bestehen oder ob sie Eis enthalten. Der meiste Permafrost befindet sich auf der Nordhalbkugel der Erde. Er bedeckt dort etwa ein Viertel der Landoberfläche, hauptsächlich nördlich des Polarkreises. In Skandinavien reicht er 20 Meter, in Alaska mehrere hundert und in Sibirien bis zu 1500 Meter in die Tiefe – was erklärt, warum Schergins Versuch, flüssiges Wasser in seinem Garten zu finden, scheitern musste.
An der Oberfläche des Permafrosts liegt die sogenannte aktive Schicht, die im Sommer taut und wo Pflanzen wachsen können: Grasland, Wälder oder Feuchtgebiete mit Tümpeln und Seen. In manchen Gegenden ähnelt die Landschaft einem Mosaik, als wären unzählige Polygone mühevoll aneinandergelegt worden. Geschaffen wurde die Struktur aus der Tiefe: Im kalten arktischen Winter, wenn sich der gefrorene Boden zusammenzieht, entstehen Risse. Diese füllen sich im Frühjahr mit Schmelzwasser, das dann zu Eiskeilen gefriert und so das geometrische Muster an der Oberfläche entstehen lässt.
Von der Eiszeit zur Erderwärmung
Diese Landschaften sind im Wandel begriffen: Messungen zeigen, dass die Arktis sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schneller erwärmt hat als die Erde im Durchschnitt. Entsprechend beginnt der Permafrost bis in tiefere Schichten hinein aufzutauen. Zu den Folgen gehören Absackungen und Erosion. Viele Seen verschwinden, weil das Wasser nun abfließen kann. Dafür bilden sich neue Tümpel in den Senken, die der absackende Boden hinterlässt, und wieder andere vereinigen sich zu Seen, weil das begrenzende Eis fehlt. Die von Gewässern und abgesacktem Permafrost durchzogene Landschaft heißt in Fachkreisen Thermokarst – der erste Wortteil beschreibt die Ursache, der zweite das zerklüftete Aussehen dieser Strukturen.
Das Tauen des Permafrosts verändert aber nicht nur das Gesicht der Arktis – es hat auch Auswirkungen auf das Klima der Erde. Denn die Böden in der Permafrostregion speichern gewaltige Mengen von Kohlenstoff – aktuell etwa zweimal so viel wie die Atmosphäre. Dieser liegt in der Form von abgestorbenen Pflanzen vor, deren Zersetzung durch die tiefen Temperaturen und die Abwesenheit von Sauerstoff unterbunden wird. Wenn der Permafrost auftaut, beginnen Mikroorganismen das Material abzubauen. Dabei entstehen Treibhausgase: Kohlendioxid (CO2) oder Methan, was über einen Zeitraum von 100 Jahren etwa 28-mal so stark erwärmend wirkt wie CO2.
Klimaforscherinnen und -forscher versuchen deshalb zu verstehen, wie die Arktis auf die steigenden Temperaturen reagiert: Wird sie ihre großen Kohlenstoffvorkommen in die Atmosphäre entlassen und wenn ja, wann und in welcher Form? Am Max-Planck-Institut für Meteorologie erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Vorgänge in der Arktis. Hier leitet Victor Brovkin, der in Jakutsk geboren wurde und unweit der Schergin-Mine aufwuchs, die Arbeitsgruppe „Wechselwirkung Klima-Biosphäre“ und ist außerdem Ko-Leiter der Arbeitsgruppe „Kohlenstoffdynamik in der Arktis“ des Exzellenzclusters Climate, Climatic Change and Society (CLICCS) der Universität Hamburg.
Trockener oder feuchter: Beides hat Folgen
Bislang beschäftigte Forschende zum Beispiel die Frage, zu welchen Anteilen der in den Böden gespeicherte Kohlenstoff in Form von CO2 oder in Form des noch stärker erwärmenden Methans entweichen wird. Die Antwort hängt unter anderem davon ab, ob die Arktis in Zukunft feuchter oder trockener wird. Denn in trockenen Böden zersetzen Mikroorganismen Pflanzenmaterial mithilfe von Sauerstoff und produzieren dabei CO2. In feuchten Böden hingegen herrschen sauerstoffarme Bedingungen, sodass beim Abbau des organischen Materials Methan entsteht.
Ob die Arktis trockener oder feuchter wird, ist aber noch nicht klar. Simulationen mit Erdsystemmodellen zeigen, dass es dort zukünftig mehr regnen wird – was zu feuchteren Bedingungen an der Oberfläche führen kann und dazu beiträgt, die hohe Dichte von Oberflächengewässern und wassergesättigten Böden zu erhalten. Auf der anderen Seite gibt es auch Argumente dafür, dass Permafrostlandschaften zukünftig trockener werden könnten. Demnach würde das Auftauen des Permafrosts den Grundwasserspiegel absenken und Wasser leichter abfließen lassen, was die Böden langfristig austrocknen könnte.
Was das jeweils für die Methanemissionen der Arktis bedeuten würde, haben Philipp de Vrese, Victor Brovkin und ihre Kolleginnen und Kollegen mit dem gekoppelten Klimamodell MPI-ESM gezeigt. Demnach würde in einer nasseren Arktis mit weit verbreiteten Feuchtgebieten mancherorts tatsächlich mehr Methan entweichen – aber nicht überall. Der Grund: Die Verdunstung von Wasser aus den feuchten Böden kühlt die Landoberfläche, was das Pflanzenwachstum und damit die Methanproduktion hemmt. Umgekehrt bilden sich bei geringerer Bodenfeuchte weniger Wolken. In der Folge erreicht mehr Sonnenstrahlung die Landoberfläche, was vor Ort die Erwärmung verstärkt. Pflanzen wachsen dadurch besser und den Mikroorganismen steht mehr Substrat zur Verfügung, wodurch die Methanproduktion angekurbelt wird. Dass dies auch der Grund für steigende Methanemissionen aus Tümpeln ist, hatten CLICCS-Forschende unlängst gezeigt. Die simple Logik, dass Methanemissionen in einer feuchten Arktis zu- und in einer trockenen Arktis abnehmen, stimmt also nicht unbedingt.
Die globalen Effekte verstehen
Was all das für das globale Klima bedeutet, lässt sich außerdem nur verstehen, wenn man neben dem Kohlenstoffkreislauf auch direkte Wechselwirkungen mit der Atmosphäre berücksichtigt: Denn sollte die Region tatsächlich trockener werden und sich zusätzlich aufheizen, so würde dies das Temperaturgefälle zwischen den Tropen und der Arktis verringern. Den Simulationen zufolge könnte das wiederum den Niederschlag in Äquatornähe und damit die Methanemissionen aus tropischen Feuchtgebieten verändern. Diese sind schon heute die größte natürliche Quelle von Methan und könnten in Zukunft noch mehr davon in die Atmosphäre entlassen. „Es ist wirklich erstaunlich, dass ein räumlich begrenzter Prozess so weitreichende Folgen haben würde“, so Philipp de Vrese.
Dass diese Folgen aufgedeckt wurden, verdanken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Modellen. „Die Erdsystemmodellierung liefert Antworten auf globale Fragen. Sie erlaubt es, verschiedene Szenarien zu vergleichen und Projektionen für die Zukunft zu erstellen“, sagt Gruppenleiter Victor Brovkin.
Modellierung erlaubt auch Einblicke in die Entwicklung der Erosion von Permafrost an der Küste, wie Arbeiten der Arbeitsgruppe „Biogeochemie des Ozeans“ zeigen. An der arktischen Küste tragen Wellen und steigende Temperaturen Material aus dem tauenden Permafrost ab – aktuell geht so rund ein halber Meter Küste pro Jahr verloren, das Doppelte bis Dreifache dürfte es den Berechnungen zufolge am Ende des Jahrhunderts sein. Das betrifft nicht nur die Menschen, die an der Küste leben, sondern wirkt sich abermals auf den Kohlenstoffkreislauf aus: Der in dem erodierten Material enthaltene Kohlenstoff gelangt in den Ozean und wird dort zersetzt. In der Folge steigt der CO2-Gehalt in der Ozeanoberfläche, sodass das Meer weniger zusätzliches atmosphärisches CO2 aufnehmen kann. „Der arktische Ozean nimmt im Verhältnis zu seiner Größe relativ viel CO2 auf“, sagt CLICCS-Klimaforscher David Nielsen. „Erdsystemmodelle haben bisher Schwierigkeiten bei der Simulation dieser Senke.“ Berücksichtigt man die Erosion von Küsten-Permafrost, so verringert sich die CO2-Aufnahmekapazität des arktischen Ozeans um neun bis 19 Prozent. Der aufgrund der Erosion steigende CO2-Gehalt macht das Meerwasser außerdem saurer, was die Gesundheit mariner Ökosysteme gefährdet.
Herausforderungen für die Modellierung
Ob, wann und in welcher Form die Arktis ihre großen Kohlenstoffvorkommen in die Atmosphäre entlässt, und welche Auswirkungen das hat, sind demnach Fragen, die sich nur mit Erdsystemmodellen verstehen lassen. Aber: „Aktuell gibt es eine Lücke zwischen der räumlichen Skala, auf der die relevanten Prozesse ablaufen, und der Auflösung der Erdsystemmodelle“, sagt Victor Brovkin. Denn das Gitter, das in Modellen über die Erdoberfläche gelegt wird – und damit die simulierten Größen wie Temperatur, Niederschlag oder Kohlenstoffflüsse – hat eine Auflösung von einigen wenigen bis zu mehreren hundert Kilometern. Viele relevante Landschaftsmerkmale variieren aber oft in viel kleineren Abständen, manchmal innerhalb von wenigen Metern.
Um die Diversität arktischer Ökosysteme angemessen berücksichtigen zu können, hat sich das Max-Planck-Institut für Meteorologie im vom European Research Council finanzierten Projekt „Q-Arctic“ mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und dem österreichischen Unternehmen b.geos zusammengetan. Das Team sammelt vor Ort und mithilfe von Satelliten Beobachtungsdaten, um relevante Landschaftseigenschaften zu identifizieren. Gleichzeitig suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Wegen, um diese Informationen für das Klimamodell ICON nutzbar zu machen: Innerhalb jedes Gitterelements lassen sich charakteristische Landschaftsmerkmale festlegen, etwa hinsichtlich der Topographie, der Bodeneigenschaften oder der Vegetation. Anhand dieser Merkmale kann das Modell unterschiedliche Zustände bestimmen und erhält wichtige Informationen, beispielsweise wie viel Prozent einer Gitterzelle von Feuchtgebieten bedeckt sind. Die ersten Ergebnisse dieser Vorgehensweise sind vielversprechend: Die Repräsentation kleiner Oberflächengewässer und wassergesättigter Böden verbessert die Modellierungsergebnisse bereits.
Doch wie einst Schergin in seiner Mine wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter bohren: Der Ansatz, Heterogenität innerhalb von Gitterelementen zu behandeln, beschränkt sich derzeit auf die physikalischen Prozesse an und unter der Landoberfläche. Der nächste Schritt besteht darin, biogeochemische und biophysikalische Prozesse genauso detailliert darzustellen. Ein Großteil der Forschung über die Permafrostregionen hat sich bislang auf die Kohlenstoffemissionen aus auftauenden Böden konzentriert. Die Gruppen um Brovkin wollen diesen Fokus erweitern und damit das Verständnis dafür vertiefen, wie biogeochemische und biogeophysikalische Rückkopplungen in den Permafrostlandschaften zusammenwirken und das Klima der Erde beeinflussen.
Weiterführende Informationen
Arbeitsgruppe “Wechselwirkung Klima-Biosphäre” am MPI-M
Arbeitsgruppe “Biogeochemie des Ozeans” am MPI-M
CLICCS-Arbeitsgruppe “Kohlenstoffdynamik in der Arktis”
Projekt Q-Arctic