Hermann Ploppa schrieb den folgenden Kommentar: “Der Inhaber des Messengerdienstes Telegram, Pawel Durow, wurde überraschend in Paris wie ein Schwerverbrecher verhaftet. Jetzt ist Durow wieder frei. Doch die Anklage bleibt. Als der Mitbegründer der Kommunikationsplattform Telegram, Pawel Durow, am letzten Samstag auf dem Pariser Flughafen auschecken wollte, erwarteten ihn bereits einige Herren von der französischen Polizei und forderten ihn diskret auf, mit ihnen zu gehen. Durow wurde direkt zur Justizvollzugsanstalt gebracht, wo er eine Zelle beziehen musste.”
Ploppa weiter: “Durow soll erfolglos darauf aufmerksam gemacht haben, dass er zu einem Dinner mit dem französischen Staatspräsidenten eingeladen sei. Das sei der Grund seiner Ankunft in Paris. Der französische Staatspräsident Macron hat mittlerweile bestritten, Durow zum Dinner eingeladen zu haben.
Wurde Durow in eine Falle gelockt? Wurde
er eingeladen, um ihn dann zu verhaften? Wäre er sonst nicht nach Paris
gekommen? Wir wissen es nicht. Wir wissen aber, was ihm alles Böses zur
Last gelegt wird. Es muss ja schon harter Tobak sein, wenn man einen
Menschen so unvermittelt seiner Freiheiten beraubt. Dem Begründer der
Bewegung der Gelbwesten, Thiery Paul Valette, verschlug es die Sprache.
Er verlautete auf dem Portal X, ehemals Twitter:
„Die Vorwürfe gegen Durow sind ohne
Beispiel. Die französischen Behörden legen ihm Mittäterschaft an
praktisch allen Übeln dieser Welt zur Last: Terrorismus,
Kinderschändung, Spionage, Obstruktion der Justiz.“
Valette betonte, dass es sich hier nicht um einen Versuch handelte, die
Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln, sondern eher um den vollständigen
Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit. Die französische Regierung wolle
hier wohl über den Hebel der Justiz alte Rechnungen begleichen und Druck
ausüben.
In der Tat. Gewisse Anleihen an die
Verfolgung des Whistleblower-Journalisten Julian Assange sind vielleicht
nicht ganz zufällig. Denn parallel zu den Anklagen, die Telegram
betreffen, hat die französische Justiz auch noch eine ganz persönliche
Anschuldigung im Köcher. Durow soll seinen jüngsten Sohn misshandelt
haben. Die Mutter hatte bereits im letzten Jahr in der Schweiz Anzeige
gegen ihren ehemaligen Partner Pawel Durow erstattet. Das kommt jetzt
natürlich „rein zufällig“ mit ins Spiel. Da Durow französischer
Staatsbürger ist, kann sich die Pariser Staatsanwaltschaft in diesem
Fall für zuständig erklären . Was Telegram betrifft, so wird Durow wegen drei Tatbeständen direkt angeklagt. Ihm wird vorgeworfen:
Erstens; Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zweitens Geldwäsche für eine kriminelle Bande. Und drittens
die Weigerung, übermittelte Inhalte auf Telegram (…) an die Behörden
weiter zu geben. Sollte Durow in diesen Punkten für schuldig befunden
werden, kann er für mindestens zehn Jahre hinter schwedischen Gardinen
verschwinden. Indirekt als verantwortlicher Chef von Telegram soll Durow
sich schuldig gemacht haben, auf seinem Kanal bandenmäßige illegale
Transaktionen erlaubt zu haben. Dasselbe gilt in Bezug auf Pädophilie,
Pornographie, Drogenhandel, Bereitstellung von Werkzeugen für
Computer-Hacker und bandenmäßigen Betrug. Kurz und schlecht: Durow ist
für alles Böse auf dieser Welt verantwortlich .
Trotzdem durfte Durow das Gefängnis nach
96 Stunden wieder verlassen. Er musste für seine Freilassung fünf
Millionen Euro Kaution hinterlegen und er muss sich zweimal pro Woche
bei der Polizei melden. Er kann jetzt als Chef von Telegram weiter
arbeiten, allerdings örtlich begrenzt auf Frankreich.
Nun ist Pawel Durow das sympathische
Sonnyboy-Gesicht von Telegram. Pawel führt Telegram zusammen mit seinem
Bruder Nicolai Durow, der als Mathematik-Tüftler die
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ersonnen hat, die es den Schnüffelnasen der
Zensurbehörden weltweit unmöglich macht, die Kommunikation auf Telegram
abzusaugen. Was natürlich großen Unmut bei den angloamerikanischen
Regierungen und deren Hintermännern aus den großen Plattformen wie
Google und Meta und wie sei alle heißen, auslöst. Denn diese
US-amerikanischen Platzhirsche bieten ihre Nutzer der politischen Zensur
auf dem Altar der Algorithmen-Manipulation bereitwillig an. Der moderne
so genannte Plattform-Kapitalismus zeichnet sich dadurch aus, dass
nicht Dienstleistungen oder Informationen die käufliche Ware sind,
sondern die Medien-Nutzer selber. Deren Daten und Profile sind die heiß
begehrte Ware, um die sich die Konzerne und Banken balgen. Und da sind
natürlich Messenger-Dienste wie Telegram, die ihren Nutzern einen fairen
Schutz vor der Agentur Guck und Horch garantieren, ein absolutes
Ärgernis. Ein anderer Messengerdienst mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
ist Signal, das von einer nicht-kommerziellen Stiftung in den USA
betrieben wird. Doch Signal hat einfach nicht die Nutzerzahlen, um
irgendwie dem Plattform-Establishment gefährlich werden zu können.
Das ist bei Telegram anders. Und es wird
den Telegram-Feinden wie Emmanuel Macron nicht schmecken, dass die
spektakuläre Verhaftung von Durow eine geniale kostenlose Werbung für
Telegram darstellt. Die Nutzerzahlen sind rasant ansteigend, und der
Zeitpunkt ist nicht mehr fern, wo Telegram eine Milliarde Nutzer
registrieren kann. Also: jeder neunte Erdenbürger benutzt bereits
Telegram. Denn der Unmut wächst weltweit über die unverschämte Neugier
der staatlichen Behörden und der an ihrem Nektar saugenden
Monopolkonzerne der Informationstechnik.
Und Telegram überzeugt diese wachsende
Klientel der Menschen, die sich ihre schamlose Überwachung nicht länger
gefallen lassen wollen. Die Durow-Brüder haben gezeigt, dass sie sich
von keiner Regierung dieser Welt vereinnahmen lassen. Denn Nicolai und
Pawel gründeten im Jahre 2006 in ihrer Heimat Russland eine eigene
Version von Facebook, mit Namen VK (zu Deutsch: InKontakt). VK
avancierte zu Russlands beliebtester sozialer Plattform. Doch versuchte
die russische Regierung den Durow-Brüdern in ihren Laden reinzureden.
Deswegen verließen die Durows im Jahre 2014 Russland. Um nicht allzu
leicht politisch verfolgt werden zu können, legte sich Pawel Durow neben
der russischen Staatsbürgerschaft noch die Staatsbürgerschaft der
Vereinigten Arabischen Emirate, des kleinen Inselstaats Saint Kitts and
Nevis, sowie eben fatalerweise auch die französische Staatsbürgerschaft
zu. Sicher ging Durow davon aus, in Frankreich noch rechtsstaatliche
Zustände vorzufinden. Aber Frankreich ist geschlagen mit einer Elite,
die der sozialen Unruhen kaum noch Herr wird, und darauf nur noch mit
harter Repression und Dekadenz antworten kann. Und dabei zunehmend
neofeudale Willkür an die Stelle einer regelbasierten
Rechtsstaatlichkeit setzt. So fällt es aktuell dem Staatspräsidenten
Macron im Traum nicht ein, nach der von ihm angesetzten Neuwahl der
Nationalversammlung, die sein Lager krachend verlor, eine neue Regierung
einzusetzen, die den veränderten politischen Konstellationen Rechnung
trägt. Zunächst nutzte Macron die Durchführung der Olympischen Spiele
als Ausrede, um dem Linksbündnis die Regierungsverantwortung
vorzuenthalten. Die Eröffnung der Olympischen Spiele offenbarte,
nebenbei bemerkt, einen schockierenden Einblick in die geistig-mentale
Befindlichkeit der französischen Bourgeoisie. Diese Eröffnungsfeier
ähnelte eher einer Neu-Inszenierung von Pier Paolo Pasolinis Kinofilm
„Die 120 Tage von Sodom“, wo der Regisseur den moralischen Verfall der
Eliten prophetisch vorhergesehen hat.
Ein Teil dieser dekadenten französischen
Bourgeoisie ist verkörpert in dem EU-Binnenmarkt-Kommissar Thiery
Breton. Breton ist unter anderem zuständig für das Internet im Bereich
der Europäischen Union. Auf dem vorläufigen Höhepunkt der sozialen
Unruhen in Frankreich fiel ihm auch nur ein, im Bedarfsfall die sozialen
Medien abzuklemmen .
Als kürzlich der Eigentümer des Kurznachrichtendienstes X, ehemals
Twitter, Elon Musk, es wagte, ein Interview mit Donald Trump zu führen,
schrieb ihm EU-Kommissar Breton oberlehrerhaft, er solle das lieber
bleiben lassen. Das könne „ernste Konsequenzen“ haben, wenn er diesem
Buhmann des bidenistischen Establishments eine so große Bühne bieten
würde. Doch hat Breton wohl vergessen, mit wem er sich hier anlegt. Er
vergeht sich hier am reichsten Mann der Welt. Elon Musk hat auf seinem
Privatkonto das bescheidene Sümmchen von steuerbefreiten 247,2
Milliarden Dollar gebunkert .
Wenn Musk eine neue Fabrik in Brandenburg baut, braucht er im Gegensatz
zum ordinären Bundesbürger keine Baugenehmigung, und die Absenkung des
Grundwasserspiegels ist auch kein Thema. Und so spuckt Musk dem
verhinderten Oberlehrer aus Frankreich laut Süddeutscher Zeitung nur
lachend ins Gesicht:
„Aber natürlich denkt Elon Musk nicht
daran, sich selbst zu moderieren. Er antwortete Breton auf seinem
X-Kanal mit einem Zitat aus dem Hollywoodfilm „Tropic Thunder“,
gesprochen von Tom Cruise: ‚Take a big step back and literally fuck your
own face.‘ Man darf annehmen, dass ein EU-Kommissar noch nie auf diese
Art öffentlich beleidigt wurde. Breton reagierte am Dienstag zunächst
nicht, dürfte die Beleidigung aber eher als Auszeichnung empfinden.“
Abtreten! Du kannst die Brille wieder
aufsetzen!. Thiery Breton hat mal eben mit einer krachenden Ohrfeige
erfahren, wer auf dieser Welt das Sagen hat. Nämlich neofeudale
Oligarchen. Und keine gescheiterten Existenzen auf den
Kommissar-Sesseln.
Dasselbe hat jetzt auch Macron erfahren
müssen. Die Zeiten haben sich seit der unverschämten Inhaftierung von
Julian Assange radikal geändert. Denn Pawel Durow verfügt über
erstklassige Kontakte weltweit. Nicht nur, dass sich die russische
Regierung für Durow verwendet hat. Auch das Gastgeberland Vereinigte
Arabische Emirate hat massiv bei Macron wegen der fragwürdigen
Verhaftung von Durow in Paris auf den Tisch gehauen. Denn Durow ist mit
Mitgliedern der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate befreundet.
Auch Macron erhielt nämlich seine Ohrfeige. Er musste nicht mal vorher
eine Brille abnehmen. Die Regierung der Emirate gab bekannt, dass sie
einen Auftrag für die Lieferung von 80 Rafale-Kampfjägern im Gesamtwert
von 10 Milliarden Dollar wegen der Behandlung Durows zurückziehen .
Peinlich. Peinlich. Bei Macrons nächstem Besuch beim Vorstand des
französischen Rüstungskonzerns Dassault werden die Tassen vermutlich
etwas tiefer fliegen …
Dabei ist Pawel Durow doch eigentlich
immer der Darling westlicher Netzwerke gewesen. Er hat für Wikimedia
gespendet, wie man seinem Eintrag bei der englischen Wikipedia entnehmen
kann .
Auch in Klaus Schwabs Young Leaders-Programm hat Durow
reingeschnuppert. Er gilt als Libertär. Also als jemand, der den Staat
auf minimale Funktionen zusammenstutzen und den Globalkonzernen
unbeschränkte Macht gewähren will. Zudem ist er Vegetarier und
Abstinenzler. Und Body Building macht er offenkundig auch. All das macht
ihn eigentlich ziemlich untauglich als Angeklagter in einen Prozess, wo
ihm Pädophilie, Drogenhandel und Banditentum zur Last gelegt wird.
Da gibt es aber noch eine geopolitische
Komponente. Ist Durow vielleicht doch der russischen Seite und dem a
priori erzbösen Putin zu Diensten? Wir wissen, dass bei der
Kursk-Invasion ukrainische Soldaten den russischen Streitkräften ihre
Bereitschaft zur bedingungslosen Kapitulation über einen Telegram-Kanal
mitgeteilt haben. So konnte diese ukrainische Einheit ohne jedes
Blutvergießen in russische Gefangenschaft übergehen. Nun behauptet das
Portal Defense.com, dass die Kommunikation der russischen Verbände
womöglich zum großen Teil über den verschlüsselten Messenger Telegram
läuft, und dass mit der Lähmung von Pawel Durow womöglich diese
Kommunikationswege abgeschnitten sind. Es wird ein Alexej Rogozin
zitiert, der als Leiter des Zentrums für die Entwicklung von
Transport-Technologien der Russischen Föderation vorgestellt wird.
Rogozin soll gesagt haben: „Die Übertragung von Informationen,
Korrekturen für die Artillerie, die Übertragung von Videostreams von
Hubschraubern werden heutzutage sehr oft durch die Mittel von Telegram
ausgeführt.“
Keine Frage. Es ist Krieg. Und der Krieg
an der Informationsfront ist sehr, sehr wichtig. Da sind die
Kontrahenten erfahrungsgemäß in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich.
Wir dürfen gespannt sein, ob es tatsächlich zum Schauprozess gegen Pawel
Durow kommen wird. Oder ob nach dem traumatischen Erlebnis des
geplatzten Rüstungsdeals mit den Vereinigten Arabischen Emiraten doch
noch ein rascher Deal abgeschlossen wird. Und die französische
Rechtspflege plötzlich und unerwartet nicht länger Gründe sieht, Durow
festzuhalten.
Quellen und Anmerkungen
Quelle: apolut von Hermann Ploppa